Jörg Machel
Pfarrer - Mediator  - Trainer - Autor

Autor

Kleine Impulse beim Zähneputzen, ein entspanntes Innehalten am Sonntagmorgen vor dem Aufstehen mit musikalischer Untermalung. Das sind vertraute Formate der kirchlichen Rundfunkarbeit. Seit 1994 bin ich als Autor für SFB jetzt rbb, für Deutschlanradio-Kultur, jetzt Deutschlandfunk-Kultur und Deutschlandfunk auf Sendung. 

Eine besondere Herausforderung sind die „Gedanken zur Woche“, die Freitags auf Deutschlandfunk laufen und sich einem aktuellen Thema widmen. Spannend dabei vor allem die Hörerrekationen, früher telefonisch, jetzt über facebook. Insgesamt sind in den gut 25 Jahren Radio über 500 Sendungen entstanden. Vieles ist über die Mediatheken der Sender und beim Evangelischen Rundfunkdienst als Hördatei und zum Nachlesen abrufbar.

rundfunkdienst.ekbo.de

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Seit dem Jahr 2005 schreibe ich in unregelmäßigen Abständen für die Nachrufeseite des Berliner TAGESSPIEGEL: „Vorbei – ein dummes Wort“, das Goethe-Zitat aus dem „Faust“, ist das Leitmotiv dieser Seite. Die Zeitung erinnert sonntäglich an Berliner und Berlinerinnen, die in jüngster Zeit gestorben sind.

Mein Anspruch ist es, die Einzigartigkeit einer jeden Biografie zur Geltung zu bringen und zu würdigen. In der letzten Ausgabe der Gemeindezeitung „paternoster“ sind ein gutes Dutzend solcher Portraits gesammelt. Ansonsten sind die Beiträge dieser Rubrik unter dem Suchwort „Nachrufe“ im  Archiv des TAGESSPIEGEL zu finden.

In den 48 Ausgaben des paternoster sind von mir Artikel zu einer Vielzahl von Themengebieten nachzulesen, unter anderem auch einige meiner Rundfunkbeiträge und Tagesspiegelnachrufe.

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"Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht?" 1. Johannes 4,20 (Das Wort, rbb 18.7.2017) 

 Aus der Nähe liebt sich`s leichter, meint die Bibel, denn: „wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht?“ Viele Menschen erleben es anders: Ihnen fällt es leichter, aus der Entfernung zu lieben. Aus der Ferne liebt sich`s leichter! Oft fällt es leichter, den Bruder oder die Schwester zu lieben, wenn sich die Wege nicht gar zu oft kreuzen, wenn man sich nur zu den großen Festen sieht und keinesfalls länger als drei Tage. Selbst als Paar kann man mit einer Fernbeziehung durchaus gute Erfahrungen machen. Auch die Liebe zwischen Mann und Frau lässt sich gern mit Illusionen füttern. Sie ist oft gar nicht besonders versessen auf die harten Konturen der Realität und malt sich ihr eigenes Bild vom Liebsten. Diese Liebe braucht zwar Anregungen aus der Wirklichkeit, dann aber wird sie gern selbst aktiv: Fügt hinzu oder retuschiert – oder blendet einfach aus, was nicht in den schönen Rahmen passt. Wie kommt es zu dieser ganz anderen Sicht auf die Liebe in der Bibel? Spricht Johannes von einer anderen Art Liebe? Gehen seine Erfahrungen weiter als die unseren? Das immerhin könnte sein! Vielleicht hänge ich bei meinen Beispielen an einem viel zu oberflächlichen Bild der Liebe, vielleicht geht es da ja mehr um Liebelei und romantische Träumereien, als um die Liebe, die Johannes vor Augen hat. Er meint vielleicht jene Liebe, die ganz tief geht, die den Menschen in seinem Wesen erfasst und verwandelt und damit eine ganz besondere Qualität bekommt. Ja, das könnte sein, dass es bei dem, was wir ganz allgemein Liebe nennen einen Wendepunkt gibt, an dem es plötzlich ums Ganze geht, nicht mehr nur um die Begeisterung für eine prickelnde Begegnung – um ein Sehnen und Suchen, sondern um ein Finden und Erkennen. Vielleicht ist es ja wirklich so, dass die Liebe dort, wo sie auf ihren Grund kommt, nicht mehr den Abstand braucht,  sondern auch und gerade im ganz genauen Hinsehen liebenswertes entdeckt. Vielleicht ist die vollkommene Liebe ja gerade die, die nicht mehr nur das Gelungene und Reizvolle großmachen muss, sondern auch das Schrullige, das Mangelhafte in den Blick nehmen kann und es als durchaus liebenswert anzunehmen vermag. Vielleicht will auch Gott von uns nicht als der Vollkommene verehrt werden, dem unsere Liebe nur deshalb zufällt, wenn kein Makel an ihm zu entdecken ist. Vielleicht will ja auch Gott geliebt werden in seiner ganzen Tiefe – gescheitert und geschunden, in Schwachheit und in Unansehnlichkeit. Die Märchenwelt ist voll von Geschichten, in denen der vollkommene Prinz in unansehnlicher Gestalt daherkommt und sich erst unter der Macht und Kraft der Liebe verwandelt. Nur über diesen Umweg offenbart sich seine wahre Schönheit. Nicht auf der Suche nach dem Vollkommenen, so dürfen wir vermuten, wird uns Gott begegnen, sondern dann, wenn wir im ganz und gar Alltäglichen und Mangelhaften das Vollkommene sehen, wenn wir aus der Nähe und aus der Ferne zu lieben vermögen.


"Paulus, der uns einst verfolgte, der predigt jetzt den Glauben, den er einst zu zerstören suchte." Galater 1,23 (Das Wort, rbb 30.8.2020) 

Wenn Saulus zum Paulus wird, gibt es ein Problem, und das ist die Erinnerung. Die Menschen können nicht vergessen, dass dieser Apostel und Missionar von heute gestern noch ein Christenhasser war. Gerade noch stellte er ihnen nach und schon will er ihnen das Christentum erklären. Er schaut zurück auf sein Versagen und steht schon wieder ganz oben. „Paulus ein Apostel? Wie kann das sein? Dieser Titel gebührt ihm nicht!“, so werden nicht wenige in der christlichen Urgemeinde gesagt haben. Wer das Lager wechselt, dem wird misstraut, damals wie heute. Ist die Umkehr echt, sucht da einer seinen Vorteil, ist das alles ehrlich gemeint? – Man weiß es nicht so genau. Viele Menschen mit einem dunklen Kapitel in ihrer Biografie scheuen es, sich zu offenbaren. Sie fürchten die Reaktion der Mitmenschen. Saulus erlebte einen spektakulären Augenblick der Umkehr. Ihm erschien der auferstandene Christus. Doch nicht jeder teilt diese große Umkehrerfahrung. Dann ist es schwer, den richtigen Zeitpunkt für ein offenes Bekenntnis zu finden. Ich denke dabei an Christa Wolf, die sich über Jahrzehnte als Schriftstellerin einen integren Ruf erworben hatte und dennoch in Verruf geriet, weil sie in Studienzeiten mit der Stasi paktiert hatte. Ich denke an Günter Grass, der im Alter von 17 Jahren der Waffen-SS beitrat und dies über Jahrzehnte verheimlicht hat. Als es bekannt wurde war er stigmatisiert. Sogar den Nobelpreis solle er zurückgeben, so forderten manche. In Konflikten, bei denen man sich Aug in Aug gegenübersitzt, habe ich erlebt, wie hilfreich es ist, wenn einer sich mit seiner Schuld offenbart und nicht gleich eine alles erklärende Selbstrechtfertigung hinten anhängt, sondern seinem Gegenüber das Urteil überlässt. Meist fällt das dann gnädiger aus als erwartet. Für Menschen, die ihre Verfehlungen aus freien Stücken gegenüber einer anonymen Öffentlichkeit zugeben, ist die Reaktion schwerer einschätzbar. Vielleicht ist Paulus der Gefahr, zum „Christenmörder“ gestempelt zu werden, deshalb auf seine ganz spezielle Weise begegnet: Mit dem Saulus von einst hat der Paulus von heute nichts gemein. Über den redet der Apostel wie über einen Fremden. Saulus lebte in der Verblendung. Erst Paulus weiß, was gut und richtig ist. Mir allerdings geht es wie den meisten Menschen: Eine radikale Wende habe ich nie vollzogen. Ich bin einfach nicht radikal: war nie ein Saulus, nie ein Paulus. Vielleicht begegne ich dem Apostel deshalb etwas verständnislos. Saulus mit seinem Eifer gegen die Christen ist mir fremd. Aber auch mit der Leidenschaft, mit welcher Paulus seine Gegner zur Raison bringen will, kann ich wenig anfangen. Ich habe vielmehr den Eindruck, dass im neuen Paulus noch eine ganze Menge alter Saulus steckt. Wirklich spannend fände ich es, zu erfahren, inwieweit auch in Saulus schon eine wenig Paulus angelegt war. Dazu müssten mir die Beiden allerdings in einer Person begegnen. Die wäre dann vielleicht nicht ganz so entschieden. Es wären Zwischentöne vernehmbar. Seltener das vereinnahmende JA oder das verwerfende NEIN, stattdessen ab und an ein VIELLEICHT oder sogar eine einladende Frage: Wie sehen Sie das eigentlich?


Meine „Gedanken zur Woche“ nach dem Terroranschlag auf das World Trade Center (DLF 9.11.2001)

Uneingeschränkte Solidarität im Kampf gegen den Terrorismus versprach der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland den Amerikanern und er bekam Beifall für so klare Worte in einer Situation großer Gefahr. Uneingeschränkt? - Mir war unbehaglich bei dieser Formulierung und dies aus theologischem Vorbehalt. Allmächtig, allgütig, aber auch uneingeschränkt, das sind Beschreibungen Gottes. Nur Gott kann nach christlichem Verständnis mit diesen großen Worten beschrieben werden. Doch selbst wenn wir Gott in solchen Kategorien denken, stoßen wir an Grenzen. Im Mittelalter stellte man zur Illustration dessen folgendes Gedankenexperiment an: In seiner Allmacht sollte es Gott möglich sein, einen Stein zu erschaffen, den auch Gott nicht mehr anzuheben vermag. Wie aber kann Gott allmächtig sein, wenn es ihm nicht einmal möglich ist einen Stein anzuheben? Solche Experimente sind aus der Mode. Die Frage jedoch, wie sich Gottes Allmacht mit seiner Allgüte zusammendenken läßt beschäftigt uns bis heute. Spätere Generationen haben sich daran gemacht, die Statik mittelalterlichen Denkens aufzubrechen. Ihnen wurde klar: Das Bindeglied zwischen Gottes Allmacht und seiner Allgüte ist die Liebe. In dieser Liebe begrenzt Gott sich selbst. Er gibt den Menschen Freiheit und ermöglicht damit Entwicklung und Gelingen, gleichzeitg aber eröffnet er damit dem Menschen auch den Raum für Fehlentwicklung und Mißerfolg. Eine Fehlentwicklung, die sich als besonders schlimm erwiesen hat, ist es, dass wir göttliche Kategorien verweltlichen. Wir überfordern uns hoffnungslos, wenn wir absolute Begriffe in die Politik und in unsere Lebenspraxis übertragen.  Wenn zum Beispiel zu klären ist, was uneingeschränkt gilt, so fällt mir nur ein theologisch sinnvoller Satz ein: Uneingeschränkt ist die Liebe Gottes zu uns Menschen. Schon die Liebe der Menschen unterteinander ist nicht mehr uneingeschränkt. Zu einer solchen Liebe wären wir gar nicht in der Lage. Ich möchte nicht missverstanden werden: Die Solidarität zwischen Menschen, und besonders das Zusammenstehen in der Gefahr ist ehrenhaft. Auch das Zusammenleben der Völker bedarf der Verläßlichkeit, uneingeschränkt ist diese Solidarität jedoch nicht und sie darf es auch nicht sein. Der Kriegseinsatz ist nun auch für deutsche Soldaten geplant. Und so müssen wir noch genauer darauf achten, dass wir uns nicht unter dem Wortschleier unangemessen großer und fehlgebrauchter Begriffe in Handlungen verwickeln lassen, die recht schnell sehr klein und schmutzig werden können. Es beginnt schon damit, dass unter dem Druck der Ereignisse Diktatoren und Regime wie z.B. Tadschikistan oder China hofiert werden, die eigentlich geächtet werden müßten. Wenn wir uns aber diese Leute zu Freunden machen müssen, dann werden wir für die Oppositionellen dieser Länder, denen wir eigentlich verpflichtet sein müssten, zu Fremden. Je konkreter die Situation des Krieges für uns wird, um so mehr bedrücken mich aber auch die Fragen, die den Krieg für Christen schon immer zu einem letzten Mittel gemacht haben, das eigentlich nicht zu rechtfertigen ist. Wie soll beispielsweise der Pilot, der eine Splitterbombe über fremdem Territorium abwirft in der Lage sein darüber zu urteilen, ob der Einsatz wirklich notwendig ist und schlimmer noch welchen Schaden er anrichten wird? Solidarität im Kampf gegen den Terror - ja! Ein Krieg aber, der in seiner Vernichtungskraft völlig unzureichend zwischen Tätern und Opfern zu unterscheiden vermag darf nicht unser Beitrag sein, so meine ich.


Meine „Gedanken zur Woche“ nach dem Überfall der Hamas auf Israel (DLF am 13.10.2023)

Siegen oder Verlieren. Das ist die Logik, nach der Kriege geführt werden, immer schon.  Seit Menschengedenken agieren die Staaten in den Kategorien des Krieges. Von Julius Caesars „Gallischem Krieg“ über Clausewitz mit seiner Schrift „Vom Kriege“ bis zu den Analysten, die nach jedem Militärschlag in den Abendnachrichten die aktuelle Gefechtslage erläutern, immer wird in dieser Alternative gedacht: Wer gewinnt gerade und wer ist am Verlieren? Im Zeitalter von Kernwaffen und automatisierter Kriegsführung müssen wir dieses über Jahrtausende eingeübte Denkmuster verlassen, wenn wir als Menschheit bestehen wollen. Ich will mich nicht auf Pro oder Contra reduzieren lassen. Selbst da, wo klar ist, wer angreift und wer sich verteidigt, selbst da, wo mir eine Unrechtslage zunächst absolut eindeutig erscheint, stellt sie sich mir bei genauerem Hinschauen deutlich komplizierter dar. Dann kann ich zwar konkrete Schuld feststellen. Ich bin entsetzt über Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Sehe ganz klar, dass der Angriff der palästinensischen Hamas gegen Israel barbarisch ist. Aber je brutaler all diese Kriege geführt werden und je weiter sie ausufern, desto mehr beschäftigen mich die uneindeutige Vorgeschichte, die wenig beleuchteten Nebenaspekte und die fernen Nutznießer. Meine ganz besondere Aufmerksamkeit aber gilt den unschuldigen Opfern, egal auf welcher Seite. Ich versuche herauszufinden: Welcher Mensch, welche Partei verhält sich menschlich. Ich weiß, dass dies mit dem Abstand von einigen tausend Kilometern im sicheren Deutschland einfach ist. Umso mehr bewundere ich Menschen, die auch im Krieg noch zu differenzieren vermögen und nach dem suchen, was zum Frieden führt, jenseits vom Töten, jenseits vom Siegen oder Verlieren. Am Freitag vor einer Woche, als die Hamas Israel überfallen hat und die Bilder von ermordeten und entführten Zivilisten um die Welt gingen, sendete 3Sat ein ausführliches Interview mit dem israelischen Philosophen Omri Boehm. Er fordert einen „radikalen Universalismus, jenseits von Identität“. Er sieht im Universalismus eine „rettende Alternative“. Die Sendung war voraufgezeichnet, man wusste also noch nichts vom Ausbruch des Krieges. Omri Boehms Worte gaben mir trotzdem oder gerade deswegen Orientierung. Er fordert sehr konsequent die universale Gültigkeit der Menschenrechte ein. Er bekräftigt: Wir alle sind Bewohnerinnen und Bewohner der einen Erde. Wir haben alle gleiche Rechte. Das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit. Das Recht auf Zukunft. Die Welt war schon einmal viel weiter. 1993 haben Israelis und Palästinenser nach viel Blutvergießen Frieden geschlossen, das Osloer Friedensabkommen. Jassir Arafat, Verhandlungsführer der Palästinenser, nannte es einen Frieden der Mutigen. Yitzchak Rabin, der damalige Ministerpräsident Israels, sagte eindrücklich: „Wir, die gegen euch, die Palästinenser, gekämpft haben, sagen euch heute mit klarer Stimme: Genug der Tränen und des Blutes. Genug.“ Das ist 30 Jahre her. Es kam schrecklich anders. Dennoch, ich halte daran fest: Wir alle bewohnen diese Erde gemeinsam. Und als Christ sage ich, wir alle sind Kinder Gottes und nichts berechtigt uns, die eigene Sicherheit, die eigene Unversehrtheit, die eigenen Interessen über die der anderen zu stellen.